DIE ERÖFFNUNG DER BAHNLINIE
Der 20. Mai 1890 sollte zu einem unvergeßlichen Gedenktag für die Gemeinde Wehr werden.
Ist er doch der Tag, der dieser Gemeinde nach all ihren Bemühungen den Bahnanschluß ins Rhein- und Wiesental brachte, nachdem bereits 1856 die Linie Basel-Säckirigen und 1862 die Strecke Basel -Schopfheim, 1876 das Endstück Schopheim-Zell dem Verkehr übergeben wurden.
Lassen wir die uns überlieferten Daten bis zu jenem Ereignis nochmals kurz ins Gedächtnis zurückrufen:
17.1.1874: Einladung an die interessierten Kreise durch Bürgermeister Villinger zur Schaffung einer Eisenbahnverbindung.
25.1.1874: Allgemeine Versammlung in der "Krone".
15.9.1884: Aufruf an die einzelnen Gewerbetreibenden zur Ermittlung des Güteraufkommens zwecks Rentabilitäsberechnung für eine Eisenbahnverbindung.
18.9.1884: Sitzung der Vertreter, der einzelnen Gemeinden, im Gasthaus zur Krone.
27.9.1884: Sitzung des Komitees zur Förderung einer Eisenbahnverbindung im Gasthaus zum Adler.
6.3.1885: Sitzung des Hauptkomitees, um über den neuesten Stand über das Bauvorhaben zu unterrichten.
11.3.1887: Übereinkommen zwischen dem Reich und Baden zum Bau der Umgehungsbahnen.
6.6.1887: Übereinkunft über die Entschädigung für die Vermessungs- und Aussteckungsarbeiten (Die Entschädigungen bewegten sich zwischen 0,50 und 7,00 Mark).
9.8.1887: Einladung zur Besprechung und Beratung wegen der Anlage des Bahnhofs (eingeladen war der gesamte Gemeinderat und verschiedene Firmen).
9.9.1887: Abschluß eines Übereinkommens über die Anlage von Probegruben und Probeschächten mit den einzelnen Grundbesitzern.
20.3.1888: Einsprüche der Gemeinde Wehr an die Großherzogliche Bauverwaltung zu den zwei Projekten.
24.8.1889: Veröffentlichung der Pläne, angeschlagen auf der Bekanntmachungstafel des Bürgermeisteramtes in Wehr.
Am 17. April 1890 lud das Bürgermeisteramt Wehr Pfarrer, Lehrer, Gemeinderäte, Fabrikanten und Vereinsvorstände zu einer Besprechung wegen einer eventuellen Feierlichkeit anläßlich der Bahneröffnung ein. In dieser Versammlung wurde der Vorschlag gemacht, sich bei der Großh. Generaldirektion in Karlsruhe zu erkundigen bzw. anzufragen, wann die Bahn eröffnet wird und ob die beiden Strecken zugleich eröffnet werden (Schopheim-Säckingen und Weizen-Immendingen). Der hiesige Ort sei bereit, eine kleine Festlichkeit zu veranstalten.
Auf die Anfrage des am 17.4.1890 gebildeten Bahneröffnungskomitees schrieb die Generaldirektion der Großh. Staatseisenbahnen in Karlsruhe am 2. Mai 1890 an den Gemeinderat in Wehr, daß die Eröffnung des Betriebes auf den sämtlichen Neubaustrecken zur Umgehung des Schweizer Gebietes nunmehr auf den 20. Mai festgesetzt sei.
Der Festzug sollte zu einem unvergeßlichen Freuden-und Erinnerungstag werden. Als Festplatz diente der jetzige Tal-Schulplatz. Überall wurde geschmückt. Die Häuser wurden ebenso bekränzt wie der erste Zug, der am Vortag der Einweihung die Schulkinder des Wehratales unentgeltlich beförderte. Ein großer Triumphbogen begrüßte die hohen Gäste aus Basel, Karlsruhe und Berlin. An den Ehrenpforten deuteten entsprechende Verse auf die Wichtigkeit des Tages hin. Der Eröffnungstag, der 20. Mai 1890, begann mit Glockengeläut, Böllerschüssen, Musik und Gesang. Die gesamte Gemeinde mit den geladenen "Hohen Gästen" nahmen an dem großen Festzug teil. Von hoher Tribüne herab wurde die Eröffnung von Gemeinde, Staat, Militär, Handel und Industrie gefeiert.
Die Schlußworte des Präsidenten lauteten:
"Fahre nun hin, o Dampfroß,
vom Rhein zur Wehra und von der Wehra zur Wiese
und spende allenthalben Glück und Segen.
Nun reicht dem Wiesental das Rheintal im Wehratal die Hand;
möge dies zum Glück sein fürs teure Vaterland."Und das "Markgräfler Tagblatt" berichtete am Donnerstag, 22.Mai 1890 in seiner Ausgabe No. 118 wie folgt:
"Schopfheim, 21. Mai. Der gestrige Tag ist für die Gemeinde Wehr wie für die umliegenden Orte ein freudevoller gewesen. Er brachte dem Hasel- und Wehrathal die langersehnte Bahnverbindung. Wehrs ganze Einwohnerschaft war erfüllt von der Wichtigkeit und von der Bedeutung dieses Ereignisses. So gestaltete sich die Feier der Bahneröffnung, welche die dortige Gemeindebehörde mit gutem Grunde beschlossen hatte, zu einer allgemeinen. Man konnte dies schon bei der Ausschmückung der Häuser, den Ehrenpforten, des Festplatzes, an dem reichen Fahnenschmucke und an der Anbringung von passenden Sprüchen und Inschriften bemerken. Nachdem die Mittagszüge die zahlreichen Festgäste von Säckingen, Schopfheim, Murg, Laufenburg u.s.w. herbeigeführt hatten, setzte sich der schon bereit stehende gut geordnete Festzug in Bewegung. Derselbe war aufs lieblichste von einem Kranz von Jungfrauen durchwoben. Jede Abteilung trug eine andere Farbe mit entsprechenden Schärpen, was dem Bilde einen ganz besonderen Reiz verlieh. Auch die Einreihung der schmucken Feuerwehr mit ihren blanken Helmen gab dem Zuge eine wohlthuende Abwechslung. Auf dem Festplatz angekommen, wurde die Versammlung mit dem wohlgelungenen Vortrag eines Liedes und eines Musikstückes erfreut. Hierauf ergriff Herr Ratschreiber Trefzger das Wort, um in einer warmen kräftigen Ansprache die Festgäste zu begrüßen. Reicher Beifall lohnte den Redner, zumal als er die Worte ausrief: Fahre nun hin o Dampfroß vom Rhein zur Wehra und von der Wehra zur Wiese und spende allenthalben Glück und Segen. Unter Vorantritt der Säckinger Musikgesellschaft, die ihren guten alten Ruf auch bei diesem Anlaß aufs Neue bestätigt hat, begab sich dann der größere Teil der Festteilnehmer in das Gasthaus zur Krone, wo ihrer in einer lustigen, schön verzierten Halle eine trefflich zubereitete Mahlzeit harrte. Es fehlte ihr auch die Würze der Toaste nicht. Mit begeisterten Worten brachte Herr Fabrikant Schenz das erste Hoch auf den Schirmherrn des deutschen Reiches, Kaiser Wilhelm II. aus. Ihm folgte Herr Bürgermeister Grether von Schopfheim mit einem Hoch auf unseren geliebten Landesfürsten Großherzog Friedrich. Jubelnde Zustimmung fand der Vorschlag an seine Königl. Hoheit, den ehrerbietigsten Gruß der Versammlung zu entsenden. Herr Oberamtmann Föhrenbach von Schopfheim dankte namens der auswärtigen Gäste für die Einladung zur Festfeuer und brachte zugleich dem freudig aufstrebenden Gemeinwesen mit herzlichen Worten die Glückwünsche der Versammlung dar. Gleich synpathische Aufnahme fand die Rede des Herrn Bürgermeister Brombach von Säckingen, dessen Hoch der Einigkeit des Rhein- Wehra- und Wiesenthals galt. Mit einer glücklichen Mischung von Ernst und Humor gedachte Herr Pfarrer Lederle der Männer der Wissenschaft, die mit Rechnen und Messen das gewaltige Werk so glücklich zum Ziele geführt haben. Die wirkliche Reihenfolge verlassend, fügen wir hier den so überaus beifällig aufgenommenen Toast des Herrn Fabrikanten Otto Bally aus Säckingen an, welcher den Arbeitern, insbesondere den italienischen, gewidmet war. Herr Fabrikant R. Krafft von Schopfheim erinnerte an die Gefahren, welche seiner Zeit dem Eisenbahnprojekt via Wehr-Hamburg (bezieht sich auf eine scherzhafte Wendung in der Rede des Herrn Fbkt. Schenz) drohten und schlug mit freudig bewegten Worten in die Hand ein, welche Herr Brgmstr. Brombach von Säckingen dargeboten hatte. Er schloß mit einem Hoch auf die Wirtschaftskommission, nachdem Herr Fabrikant K. Majer vorher dem Festwirt Jordan und seiner Frau Gemahlin gedankt hatte. Herr Ingenieur Eisenlohr faßte seine Erwiderung auf den Toast Herrn Pfarrer Lederle's in dem Wunsche zusammen, daß all die schönen Hoffnungen, welche die an der Bahnlinie liegenden Gemeinden von dem neuen Verkehrsmittel hegen, in Erfüllung gehen möchten. Dieser Teil des Festes war von dem Gedanken beherrscht, welcher in dem folgenden in der Festhalle angebrachte Spruch würdigen Ausdruck fand:
Das Rheintal reicht dem Wiesenthal
Im Wehratal die Hand,
Mög das zum Glück und Segen sein
Für's theure Vaterland!Wer wollte nicht von Herzen in diesen treuen Wunsch einstimmen? Es sollte zum eigentlichen Festplatz aufgebrochen werden. Das Wetter, das dem Feste bisher so günstig war, hatte sich unterdessen verdüstert. Wir hoffen aber, das die Festfreude dadurch nicht erheblich gestört worden sei. Sicherlich war dies bei der Jugend, die dem Vergnügen des Tages entgegenharrte, nicht der Fall."
Zum Gedächtnis an die Streckeneröffnung pflanzten die Wehrer Bürger auch eine Linde. Rainer Gerber hat sie im Jahre 1975 abgelichtet:
Foto: © R. Gerber